Dark Easter Metal Meeting 2023 · Sounds Tag 2

Inhalt

Part I - Reise, Tickets, Tipps
Part II - Sounds Tag 1
Part III - Sounds Tag 2


Heretoir (14:30, Werk)

[CK] Gitarrenklänge aus weiter Ferne bleiben im Dunst der blaugrauen Stagelights hängen. Maximilian „M.F.’s Intro nimmt mich gleich an die Hand und mit in HERETOIRs weite Welt. David „Eklatanz“ C. ‘s hüftlange Dreads und der schlichte Rollkragenpulli – für mich ein klares Statement. Ich sehe dich, denn das hab ich selten gesehen. Darauf komme ich später noch zurück. Ich liebe gut platzierte Hall-Effekte. Mit dem daraus gelegten Boden in ihren Songs, gelingt es HERETOIR, eine unverwechselbar authentische Atmosphäre zu kreieren. Die Melodiösität dieser ewig schönen Riffs, begleitet durch den bittenden Gesang und Schreie aus Davids tiefster Seele – ein Vollbad der Melancholie. Ich bin gänzlich solidarisch vereint. Ich weine innerlich mit, denn ich weiss, wo dieser schöne Schmerz, diese Bittersüsse herkommen. Die Audience ist still und geniesst, mit Schulkinderaugen oder geschlossenen Augen, wiegen mit langem Haar rhythmisch mit. Wir alle spüren Aufwind, wo doch keiner ist. Diese Musik hält Trost inne und gibt Hoffnung – oh ja, wir wollen mehr. Und wir kriegen mehr. «Fatigue» (Album «HERETOIR», 2011) richtet uns trotz Kummer auf. In diesem Stück dafür vor allem verantwortlich sind Nils S.’s straighte und zuverlässige Drums. Wunderbar geradeaus dieses Snare, mit den Becken und der Basstrommel klanglich sanft, wie ein Sommerregen. Es geht weiter, einen Fuss vor den anderen. Diese herrlichen Übergänge von sanftem Gesang zur Gitarre. Ich schwebe mit euch. Und wie schön ist es, die Liebe des Publikums durch befreiendes Schreien und Klatschen zu sehen. Und so wie ich dies sehe, wird mehr davon kommen - viel mehr. Diese Kompositionen kommen meiner persönlichen Idealvorstellung von Ambient Metal bisher am allernächsten – weshalb ich diese Band ohne Vorbehalte in meine musikalische Seelenfamilie aufnehme und ab heute offiziell süchtig bin. Und wenn das passiert, dann ist die nächste Station ohne Umschweife der Merchstand.


Kanonenfieber (16:20, Werk)

[CS] Wattesäcke plus Gummistacheldraht, dann entern Männer in Uniformen und Sturmhauben die Bühne, wobei du erstens und zweitens an Schaufensterpuppen denkst, drittens den unbekannten Soldaten.

[CR] Kanonenfieber hat bei mir heute einen schweren Stand. Ihren Auftritt vor genau einem Jahr am DEMM, damals noch auf der kleinen Club-Stage, habe ich noch bestens in Erinnerung. Der Ukraine-Krieg wütete noch keine zwei Monate, da erschien plötzlich diese neue, junge Band auf dem Parkett mit erdrückenden Texten über die Schrecken des (ersten) Weltkriegs. Der Auftritt damals war für mich der intensivste am DEMM 2022 überhaupt. Nun stehen Sie hier auf der grössten der DEMM-Festivalbühnen, was sie vermutlich selbst nicht so richtig glauben können. Verdient aber haben sie sich es allemal!

Der Auftritt dann ist solide und macht auch diesmal wieder richtig Spass, löst bei mir aber nicht mehr dieselben intensiven Gefühle aus wie noch vor einem Jahr. Auch der zur EP “Der Füsilier” eingesetzte Kunstschnee ist mir dann doch eine Spur zu viel Theater. Nichtsdestotrotz ein sehr gelungener Auftritt, der mit dem Über-Song “The Yankee Division March” seinen gebührenden Abschluss findet.


Naglfar: Das Totenschiff segelt wieder (20:00, Werk)

[PW] Naglfar könnten es eigentlich schwerer nicht haben: Mit Vittra, einem der genialsten Schwedenhämmer überhaupt haben die Jungs aus Umeå das Melo Black-Metal Genre geprägt und mit den folgenden Alben irgendwie nie mehr erreicht. Live knallt die Band mit ihrer fast konkurrenzlosen Aggressivität und Präzision viele Mitstreiter an die Wand. Auch nach 30 Jahren Bandgeschichte ist die Spielfreude ungebrochen und Säger Wrath rennt fauchend und keifend über die Bühne. Stilecht, formgerecht, im Guten wie Schlechten jedoch überraschungsarm. Mit einer aus Bier und Schweiss verschmierten Kameralinse raus aus dem Fotograben und rein in die Menge. Weiter Vollgas!


Triumph Of Death (21:50, Werk)

[CS] Man mag von Tom halten, was man will, diese eine Sache aber hat er ganz einfach drauf, nämlich Hellhammer zu exhumieren, immer mal wieder und wieder. Dabei gelingt es, den Walking Dead Groove zu vermeiden (was CANDLEMASS vorgeworfen werden kann) und ein zeitgemässes Stück Musik zu präsentieren. Mütze ab!


[CK] Als Hellhammer im Mai 1984 ihre zweite EP «Apocalyptic Raids» veröffentlichte, wusste ich von Metal rein gar nichts. Mein Vater war von 1964 bis 1969 Gitarrist und Leadsänger einer Wollishofer Beatband («The Screams», später «The Lazy Bones») und gab, wenn wir Besuch hatten, nach unserem Blockflötenduett sein «House Of The Rising Sun» ohne zu fragen und mit noch weniger Rücksicht auf die Trommelfellbeschaffenheit unseres Besuchs, zum Besten. Seine Stimme, seine Manier und dieser Song stellten meine erste Begegnung mit dem dar, was ich als Kind unter «Rockmusik» verstand. Eben diese hat mich nie mehr losgelassen.

Dass Tom G. Warrior mit diesem Bandprojekt dem Ursprung Tribut zollt, heisst: Meine Anwesenheit ist gesetzt. Denn Ursprung ist ja mein Suchbegriff.

So stehe ich eine halbe Stunde vor Konzertbeginn an gewohnter Position und beobachte den emsigen Aufbau auf der Bühne. Tom G. Warrior's Artwork – das Cover von Apocalyctic Raids und der "Demon Entrails" Demo Retrospektive - hängt in zweifacher Ausführung im Hintergrund. Tom teilt die Anfänge seiner Reise mit uns. Das Werk füllt sich – man ist sich bewusst, dass diesmal ein Warten bis zur letzten Minute keine Option ist.

Das sehen auch meine Nachbarn so, die sich ans Geländer ketten und mir erzählen, sie hätten in Frankreich einmal fünf Stunden an der prallen Sonne auf einen guten Platz gewartet, um diese Band zu sehen. Aus den Lautsprechern ertönt «House Of The Rising Sun» und ich weiss, wer ausser mir noch hier ist.

Die Setliste beginnt mit den ersten beiden Songs der Original-EP von 1984 «Apocalyctic Raids», The Third Of The Storms (Evoked Damnation) und Massacra. Die Audience ist vom ersten Ton an euphorisch, um nicht zu sagen: Ausser Rand und Band. Tom G. Warrior erfreut sich an der Ungezogenheit des Publikums mit einem:

«Ihr benehmt euch gar nicht so österlich...»

Die Härte und vielerwähnte Konsequenz, mit der Tom G. Warrior (voice/guit.), André Mathieu (guit.), Jamie Lee Cussigh (bass) und Tom Iso Wey (drums) Hellhammer Tribut zollen, reisst jeden von seinen 50 Quadratzentimetern Boden. Dieser Druck und die schwarze Welle hauen den letzten Nietnagel aus den Planken des Werks. Und wenn du denkst; «Phua, ich brauch eine kurze Pause», dann geht’s auch schon wieder in die nächste Runde. Widerstand kriegt keine Pausen! Wir sind hässig. Und wollen raus aus dem Kaff und der Ödnis. Genau das ist es, was diese Musik für mich verkörpert. Und exakt dieser Widerstand ist in der DNA dieser Musik, die Kernaussage roh und ungemütlich bis zum heutigen Tag.
Zu sehen, dass eine Schweizer Band die Massen noch immer so überzeugt, ihrer Kunstform in Höchstqualität so detailliert treu geblieben ist – das ist gross.

Ich bin mir bewusst, dass hier wieder einmal Musikgeschichte geschrieben wird.

Tom G. Warrior hat uns heute ausserdem einen kurzen, wichtigen Blick in sein Herz gewährt, in dem er sagt: «Martin Ain Stricker ist immer bei uns, immer mit dabei». Es ist ein weiterer – persönlicher – Höhepunkt. Niemand kann jemals ermessen, was seine Worte für ihn bedeuten. Aber Danke Tom, dass du uns an deiner Reise, zurück und nach vorne, teilhaben lässt.


Misþyrming (23:10, Werk)

[CR] Misþyrming gehört für mich aktuell zum Besten, was Black Metal zu bieten hat. Nicht nur auf Konserve, sondern gerade auch live. Dies haben sie kürzlich in der Musigburg in Aarburg erneut unter Beweis gestellt.

Entsprechend lasse ich mir den Auftritt am DEMM selbstverständlich nicht entgehen. Ich betrete die Halle schon etwa 20 Minuten vor Show-Beginn und trotzdem - da ists schon richtig voll!

Pünktlich um 23:10 erklingt dann das Intro “Hælið” aus den Boxen, der Vorhang wird geöffnet und die Isländer hauen dem Publikum direkt Orgia um die Ohren in die Fre***, den Opener der 2019 erschienenen “Algleymi”-Platte, mit der sich die Band erstmals richtig einen Namen machen konnte.

Anfangs klingt das alles noch etwas matschig und es dauert ein zwei Songs, bis der Sound ein anständiges Niveau erreicht. Wohl auch der brachialen Komplexität der Band geschuldet. Auch auf Platte ist mehrfaches Hinhören unumgänglich.

Bestes Beispiel “Engin miskunn” vom aktuellen Longplayer “Með Hamri”, das im späteren Verlauf des Sets natürlich auch nicht fehlen darf. Was Mastermind D.G. da komponierte, ist schlicht atemberaubend. Aggressiv, roh, wütend, dunkel, wunderschön. Die Band spielt sich - mit einer Ausnahme - quer durch die beiden neusten Veröffentlichungen. Dennoch wünscht man sich, das 50 Minuten dauernde Set würde um den einen oder anderen Song verlängert. Doch mit Misþyrming findet sich für mich der perfekte Abschluss eines tollen Festivals.

Ich verlasse die Halle in Richtung Werk um noch beim Merchandise-Stand vorbeizuschauen. Dabei dröhnt mir Headliner Rotting Christ entgegen und ich überlege, doch noch kurz in die Show der sympathischen Griechen reinzuschauen, entscheide mich dann aber dagegen. Den Zustand in den mich Misþyrming versetzt hat mag ich mir mit Rotting Christs über-epischen Klängen nicht verderben. Also gehts schnurstracks in Richtung Hotel(-Bar).

Du kennst Misþyrming noch nicht und bist neugierig geworden? Als Einstieg empfehle ich das Album “Algleymi”, das zugänglicher daherkommt als “Með Hamri”.

(Text und Bilder von C. Kuster [CK], C. Renner [CR], C. Sturzenegger [CS], P. Weber [PW])


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Fotos

Triumph Of Death

Heretoir

Kanonenfieber

Naglfar

Mephorash