Aces High, höher, am Höchsten: Maiden-Konzertbericht aus dem Hallenstadion - Teil 1

Maiden riefen, und fast alle rannten zum Vorverkauf für die «Run For Your Lives»-Tour 2025. Im ausverkauften Hallenstadion halten Christian und Tomi von heavymetal.ch fest, was ihnen als mittelalten Fan-Hasen an dem Sommerabend an der Performance von Bruce Dickinson & co. aufgefallen ist - vom Sitzbereich aus, und unten bei den Stehplätzen.

Teil 1 - Sitzplatz Sektor H1, Medien
Teil 2 - Die billigen Stehplätze


Jedes Metal-Kind weiss: “Wherever you are, Iron Maiden’s gonna get you, no matter how far”. Jedes Mal kriegen sie mich, auch wenn ich mich zu Beginn sträube, wenn man mich fragt: “Kommst du ans Maiden?” – “Dieses Jahr nicht, ich habe sie schon genug gesehen!”. So ist es auch an dem Juliabend, ich nehme die Reise auf mich, “no matter how far”, für uns ist es aus Altstetten bis zum Zürcher Hallenstadion zum Glück nicht weit. Andere haben eine weite Anreise auf sich genommen, schliesslich liess die im Vorfeld veröffentlichte und viel diskutierte Setlist ein hohes Fan-Interesse erwarten. Die Ambivalenz der Schreiberin Maiden gegenüber ist seit jeher Bestandteil dieser Bandbeziehung, denn: ich finde Maiden absolut nicht “cool”. Zu Beginn war deren Musik gar mein “guilty pleasure”. Dies und der Sitzplatz im Medienbereich, den ich stets mit beiden Backen berühren muss (die Security-Dame ist da sehr streng), laden zu einer Remineszenz-Runde ein. In den restlos ausverkauften Stehbereich darf ich nicht und sitze, oh Schande, zum ersten Mal in meinem Leben an einem Maiden-Konzert in einem fucking Stuhl. Immerhin habe ich einen Tisch und kann mit Stift und Papier flexen. Dann wollen wir uns mal erinnern: Ich war noch Gymischülerin und Besucherin meines allerersten Festivals, als ich Iron Maiden zum ersten Mal Anfang Juni 2003 am Rock am Ring live sah. Selbstgerecht stampfte ich über das Gelände und hatte Iron Maiden nicht auf meiner Liste von Bands, die ich hören wollte, es gab cooleres und fresheres, als diesen Alte Leute-Metal.

An dem Abend im Hallenstadion sind sowohl Maiden als auch ich nun 22 Jahre älter, was man Bruce und co. nicht ansieht; Das altbekannte Doktoren-Intro zieht sich hin, plötzlich sind sie doch da, flitzen auf der Bühne herum, und mit kritischem, an Altersdiskriminierung grenzenden Blick frage ich mich: Wie machen sie das? Bruce sprintet der Rue Morgue entlang und führt uns zu “Wratchild”, fordert das Publikum auf, mitzujohlen, es wird verhalten mitgemacht, als wären alle etwas überfordert von einem derart wuchtigen Konzertstart inklusive Fitness-Display der Bandmitglieder.

Und dann erscheint er linksseitig, eine Riesen-Eddie-Figur mit Axt kommt auf die Bühne, etwas Kitsch muss bei Maiden sein, Bruce haut ihm eins, Eddie verabschiedet sich, der Störenfried, nicht ohne sich zuvor am Allerwertesten zu kratzen. Solchen Slapstick verzeiht man keiner anderen Band.

Das versetzt mich zurück ins Jahr 2003, als mein arrogantes junges Ich damals auf dem Rock am Ring-Gelände, enttäuscht von einer grottenschlechten Performance der australischen Silverchair, deren zugedröhnter Sänger selten respektlos mit dem Publikum sprach, beim Bier holen Maiden zum ersten Mal live sah, aufhorchte, zugeben musste: Scheisse, die klingen gut. Der Sound gefällt mir. Aber cool sind sie nicht, diese Maiden-Dudes; kitschigen Shit schleppen sie auf die Bühne, was sind das für Geeks mit ihren Plastik-Gimmicks?, fragte ich mich Anfang der Nuller-Jahre als Nu Metal-Kid, und erinnerte mich diffus an Eddies Fratze von Postern, die mein Onkel in den 1980ern an seine Jugendzimmerwände im sozialistischen Jugoslawien klebte.

Jetzt steht Bruce 2025 im Hallenstadion, richtet sich ans Publikum, heisst uns willkommen zur Geburtstagsparty: 50 Jahre sei es her, dass Iron Maiden da seien, und wir würden das hier und heute gemeinsam feiern, sie hätten bis 23:00 Uhr Zeit und würden bis auf die Sekunde genau für uns spielen. “Nerds!”, höre ich mich sagen. Eine coole Band würde so etwas nicht sagen.

Cool können sie nicht, dramatisch sehr wohl: “Phantom of the Opera” wird angestimmt und Bruce fordert zum Klatschen auf, von der Tribüne aus sieht das eindrücklich aus, beim Galoppier-Teil springt das Publikum, die Gitarristen harmonieren, das Solo sitzt so gut wie die Skinny Jeans.

Bei “Number of the Beast” speit das Bühnentier Feuer, und alle machen grosse Augen, das Hallenstadion ist on fire!

“The Clairvoyant” ist ein erster emotionaler Höhepunkt, leider versagt just da Bruces Stimme etwas. Wir sind nachsichtig, Bruce rettet den Song, steigert sich sogar und steigt auf die Bühnenemporen hoch wo er sein patentes “Scream for me Zurich!” loslässt, Zürich antwortet mit Schreien und Springen. Ich bin gerührt und geschüttelt, als Bruce den Song mit einem langgezogenen “agaaaaaain” zu Ende singt, als würde er sein anfängliches Stimmversagen pflichtbewusst ausgleichen wollen. Bei “Powerslave” wird die Stimmung weiter aufgeheizt, das Stehbereichpublikum springt lebhaft, für einen Moshpit reicht es nicht ganz. Moshpits gibt es bei coolen Bands, und Maiden sind nicht cool, das haben wir doch etabliert. Aber Obacht: Das Melodiöse lullt mich ein, die schweissüberzogenen, muskulösen Arme und Bruces Körperspannung on Display drängen die Frage auf – sind Maiden doch cool, mit ihrem Fitness-Granddaddy-Vibe? Das Publikum ist super energized und tobt. Aber dann, siehe da: Bruce hat seine schräge Sexshop-Maske im Gesicht, der Coolness-Faktor sinkt erneut.

“Cool oder nicht cool ist hier nicht die Frage!”, schreit meine Gänsehaut, als “2 Minutes to Midnight” ertönt, und ich bin offensichtlich nicht die einzige, die betroffen ist von einem Gefühlsschwall, ein Mini-Moshpit im vorderen Drittel ist nun eindeutig sichtbar, und als der Song endet, schreit die Maiden-Publikumsmeute an dem Abend zum ersten Mal “Maiden! Maiden! Maiden!”. Die Zurufe haben sie sich verdient. Bruce mit seinem Faible für Gimmicks trinkt Wasser aus einer Feldflasche, der uncoole Metal-Krieger, der Alte, “The Ancient Mariner” haut er uns als nächstes um die Ohren und ich bin in einem inneren Konflikt: Bevor ich in die hohe See stechen kann, benötige ich Proviant in Form von Bier. Als ich zurückkehre, ist der alte Seemann noch da in seinem verwitterten Gewand: Wenn Bruce etwas ernst nimmt, dann Theatralik. Mit Feuerwerk sind alle, die etwas gepennt haben, wieder wach, auch das Gitarrensolo holt uns zurück, alle drei Gitarristen stimmen ein, als wären ihre Gitarrenhälse geölt, so wie damals, 2003 am Rock am Ring. Cool sind Maiden nicht, Künstler sind sie auch nicht unbedingt, eher handwerklich begabte Theaterleute, die ihr Gimmick gefunden und perfektioniert haben. Erneut werde ich in die Vergangenheit zurückversetzt, als ich mich ein Paar Jahr später als Geschichtsstudentin Maiden noch weniger entziehen konnte aufgrund ihrer lyrischen Vorliebe für Historisches, das sie in Seifenopern à la “Alexander the Great” packen. Ich gab mich nicht als Metal-Fan zu erkennen, damals an der Uni, denn im akademischen Milieu goutierten manche Pöbelmusik wie Heavy Metal nicht, und ich musste mich als Frau und Ausländerkind nicht noch eine Diskriminierungskategorie aussetzen. Fragte man mich nach meinen Musikvorlieben, antwortete ich schelmisch: “Ich mag gepflegte Gitarrenmusik” und meinte da

mit Black, Thrash und Death Metal. Maiden erwähne ich schon gar nicht. Als ich zufällig einen Studentenverbindungsfuzzi kennenlernte, der mich auf mein unter dem Blazer camoufliertes Bandshirt ansprach, outete er sich als Maiden-Fan. Ich sagte vorsichtig, ja, Maiden finde ich auch easy, beobachtete, dass er ernsthaft mit Siegelring unterwegs war und dann noch behauptete, seine Verbindung sei zwar nur für männliche Studis aber “sehr weltoffen, durchaus”. Da wusste ich definitiv: Coole Menschen hören Maiden nicht, sondern eben solche Geistesdinosaurier. Als Metal-Dinos waren Maiden 2003 nicht cool, 2025 sind sie es schon gar nicht. Die Theatralik, für die Maiden einen zwischendurch erwärmen kann, hat im Metal dank Bands wie Castle Rat eine coole Zukunft – durchaus.

Zurück beim alten Seemann rettet uns Bruce vor der stürmischen See und wir machen uns auf zur Geschichte der sieben Brüder, “Seventh Son of a Seventh Son” ertönt und Bruce, die Operndiva, dreht die Gesangsorgel richtig auf, auf dass die Stimmbänder bitte ganz bleiben. Bruce hält den Ton, alle staunen und zollen Respekt, klatschen, zwar nicht im Takt, weil Maiden-Fans nicht cool sind. Wir bezeugen, wie Bruce im Nebel meditiert wie ein Sensei, bevor er verschwindet. Mit welchen Weisheiten kommt er wieder zurück? Ich bin neidisch auf den Maiden-Noob, mit dem wir uns vor dem Konzert austauschen, Christian und ich, komplett ungläubig, dass heute sein erstes Konzert der Band ist. Ich beneide ihn um diese Erfahrung, weil heute eine richtig gute Einstiegsshow geboten wird. Sensei hat den meditativen Höchstzustand inzwischen erreicht, die Batterie ist geladen, es wird groovy und alle wissen, was kommt: Keine Weisheiten, sondern groovy Fanfaren und Fahnenschwingen: Der “Trooper” ist gelandet! Anschliessend spielen sie “Hallowed Be Thy Name”, und da fehlen Notizen auf meinem Papier, ich headbange und springe, bis die nette Security-Dame mich darauf hinweist, dass auf den Sitzplätzen bitte gesessen werden soll. Cool. Mega cool.

22:35 verabschieden sich Iron Maiden, wir sind gespannt auf die Zugaben. “Aces High”, higher, am Höchsten: Im Hallenstadion pirouettieren die Gitarristen noch ein letztes Mal, paradiereren hin und her, präsentieren ihre Beine auf den Boxen, bei “Fear of the Dark” fordert Bruce uns auf, zu springen – he says “jump” and we say, how high?, schliessen werden Iron Maiden an dem Abend mit “Wasted Years”, ich weine vor Freude und schäme mich meiner Tränen nicht, Tränen sind nicht cool, ich bin nicht cool, ich war 2003 auch nicht cool, I was just a teenage dirtbag, baby, come listen to Iron Maiden, baby, with me!

Iron Maiden Setlist Hallenstadion, Zurich, Switzerland 2025, Run for Your Lives


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