Ein subjektiver Jahresrückblick auf die Schweizer Metallindustrie
Acht Alben, die beispielhaft für Schweizer Musikschaffen stehen. Insbesondere Metallindustrie, versteht sich.
Acht Alben stellvertretend für alle jene, die den Einzug nicht geschafft haben. Aus Gründen auch immer.
Acht Alben, die zu hören sich auf die eine oder andere Weise lohnt. Sowieso.
Als am 11. Februar Zeal & Ardor von Zeal & Ardor in den Läden erscheint, stemmen sich bereits erste Schneeglöckchen ans Tageslicht. Die Basler praktizieren Recycling auf Vorbildniveau, dazu noch sind sie ganz einfach mal «mega arty», was eine breite, quasi gebildete Hörerschaft zu verzücken vermag (wie damals Nirvana zum Beispiel jene Hornbrillen-Wollpullover Meute). Weil: Gagneux hat’s drauf, Songs zu schreiben, diese zu arrangieren, Spannungsbögen zu kreieren, noch dazu verfügt er über eine Stimmgewalt, die ihresgleichen weitum sucht, deren Couleur von rauchig bluesig bis leidenschaftlich gequält schreiend beinahe jede Gefühlslage abzudecken in der Lage scheint. Wobei das Album sich anfühlt wie etwa Zug nach Hogwarts, angefüllt von einer schieren Menge an Melodien, Themen, Einfällen, die aufgegriffen, ausprobiert, nicht selten aber gleich wieder liegengelassen werden (müssen), weil es derer schlicht zu viele sind. Was dazu führt, dass der Longplayer mit stets anderen Ohren gehört werden will, neue Nuancen sich entblössen, was eben den besonderen Reiz von Zeal & Ardor ausmacht, dass du nämlich nie so recht weisst, was deiner zum Nächsten harrt.
Mit Firewake ist übrigens soeben ihre neue Single erschienen, die anzuhören sich auf jeden Fall empfiehlt.
Zwei Wochen später liegt Débris De Mondes Perdus (Pelagic Records) von Abraham in den Läden, einer welschen Post Metal
Band, deren Bekanntheitsgrad sich mit dem Röstigraben schwerzutun
scheint. Die Lausanner beschwören Endzeit beschwören
Hoffnungslosigkeit beschwören pure Verzweiflung in wiederum anmutiger Weise. Ihre Musik kommt dissonant daher, roh, spartanisch, sphärisch, wuchtig, wobei grossflächiges
Bildmaterial entsteht, was nicht anders kann, als dich in den Bann zu ziehen. Ein leiser Kritikpunkt an Abrahams Scheibe ist in der allenfalls fehlenden Homogenität zu finden, dass einzelne Stücke für sich etwas isoliert wirken, der innere Fluss stellenweise verloren geht.
Dass die dort im Wallis mehr als nur Wein produzieren, war im Grunde bereits während der prä-Bax Ära vermutet worden. Um jedoch aufzuzeigen, wie f****** hot es dort unten tatsächlich werden kann, braucht es eben Desert Gatan. Mental War fegt à la heavy Luftwalze das Rhonetal hinunter, dass einzig verkohlte Reben übrigbleiben - und geschmolzene Gletscher. Wer demnach denkt, Stoner- und Sludge Metal sei schweizweit höchstens mal Importartikel, hat sich entsprechend mächtig geirrt. Die fünf zuweilen überlangen Tracks bieten jedenfalls Null Grund zur Langeweile, im Gegenteil knarzt und rumpelt es, was das Zeug hält. Dazwischen gelegte Gitarristensolis finden sich perfekt in den treibenden Sound ein, nicht zu vergessen Schwerys Stimme, die da und dort an Matt Pike (Sleep, High on Fire) erinnert,was dem Tonwerk jene passend düstere Atmosphäre verpasst. DIE Überraschung, des Jahres, sind manche überzeugt!
Mit Chiroptera (Unspeakable
Axe Records) legen Algebra eine Scheibe
hin, die unter jeden Weihnachtsbaum gehört, tröstlicher Weise als
Neujahrsgeschenk aber genauso taugt. Die Lausanner spielen modernen, technisch
brisanten Thrash Metal, der sich keinesfalls damit begnügt, quasiheiligen Vorbildern
nachzueifern, sondern gehörig noch einen obendraufsetzen. Präzision und Technik mal zum
einen, gekonnte Arrangements zum anderen, welche sowohl ausgetüftelt wie geschmeidig daherkommen, dass dir vor Freude der eine oder andere Jauchzer entschlüpft. Einziger Wermutstropfen bezieht sich auf jene eingeschränkt variationsstrotzende
Stimme von Sänger/Gitarrist Ed, die da und dort noch etwas Mut vertrüge (siehe
Review auf HeAvYmeTaL.ch).
Mit Divinity's Fall unternehmen Malphas einen logischen Schritt nach vorn. Fluktuationen im Bandgefüge haben zweifelsohne zu einer grösseren künstlerischen Breite geführt, was dem Album im positiven Sinn anzuhören ist. Das neue Material klingt schwermütig melodiös, ohne jedoch an Treibkraft und Aggression einzubüssen. Die Produktion wirkt satt und differenziert, was nicht zuletzt auf die Liaison mit Folter Records zurückzuführen wäre. Wer auf musikalischen, akkurat gespielten BM steht, der gehörig nach vorn abgeht, liegt bei Divinity's Fall jedenfalls goldrichtig. Allenfalls hätte auf den einen oder anderen Song durchaus verzichtet werden können, keinesfalls jedoch, weil dieser nicht genügte, sondern um Wiederholungen (respektive Ermüdungserscheinungen) zu vermeiden.
Am 1. April 2023 spielen Malphas übrigens im Rahmen unseres HeAvYmeTaL.ch Minifestivals im Werk 21 (Zürich). Da es sich gerade auch um den Tourstart der Band handelt, sollte man sich den Anlass kaum entgehen lassen. Mit von der Partie sind ColdCell, Rorcas und die Zürcher Todesmetaller von Heathen Heretics.
Gravpel zelebrieren Black Metal als überaus authentische Performance, bemalen sich die Körper, wenden Kreuze um jene 180 Grad und spielen mit dem einen oder andern Feuer. Wobei du dir im Grunde nie so recht sicher sein kannst, was die sich dabei denken, auf jeden Fall aber meinen sie es bitterernst. So oder so. Zudem machen die Basler richtig gute Musik und haben sich in kürzester Zeit einen fulminanten Ruf als Liveact erspielt. Kunst, die keine Fragen eröffnet, sei keine Kunst, behauptete einer mal (der mit seinen Werken im Übrigen stinkreich geworden war). Und Fragen kriegst du bei Gravpel haufenweise geliefert plus noch Haltung dazu, die sich deutlich linksverorten lässt. Power to the filthy Masses kann
als wütendes Stück Musik bezeichnet werden, welches zumindest in den
Gesangsparts sich klassischer Anarchopunk-/Hardcorelemente bedient. Gravpel packen dich wegen der schieren Intensität, die ihrem Album innewohnt, gerade, weil sie was zu sagen haben respektiv gehört werden wollen plus dies auch tun, heisst sich lautstark hören lassen!
Vor wenigen Wochen veröffentlichten Tyrmfar den Nachfolger
von Renewal Through Purification. Bereits vor gut einem Jahr durften wir die Walliser an unserem Festival zum 20-jährigen
Vereinsbestehen begrüssen. Erinnerungen an einen unbändigen Tornado, der durch
das Werk 21 fegte, sind haftengeblieben. Die Band führt auf ihrem neuen Album eine
feine Klinge zwischen brutalen Blast-Beat-Attacken, Tremolo-Pickings und Gesang
zwischen Schreien und tiefem Growlen. Die harmonische Lead-Gitarre steht im
Kontrast zu den treibenden Riffs und das präzise Schlagzeugspiel fügt sich
perfekt in das Gebilde ein.
Seit mehr als 30 Jahren frönen Cremation dem tödlichsten aller Metalle. Mit Where The Blood Flows Down The Mountains präsentieren sie zum ersten Mal ein Werk, welches nicht vollends in Eigenregie entstanden ist. Mit sicherem Gespür für Songstruktur und Rhythmus sind ihnen fünf wuchtig schmutzige Songs gelungen, denen man die Altmeisterschaft nicht absprechen kann. Hervorragende Riffs zeichnen die Scheibe genauso aus wie perfekt funktionierende Rhytmusarbeit, ergänzt durch Gesangsparts, die aus den Tiefen der Walliser Bergwelt zu entstammen scheinen. Ein Album, das von vorne bis hinten Spass macht und immer wieder gehört werden will!!! Ein würdiges quasi letztes Album in diesem Jahr...
Text: claude@HeAvYmeTaL.ch, 29.12.2022
Vielen Dank für die Ergänzungen an Patrik!!!
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